Für die Bildungsgeschichte eines Menschen ist es wichtig, dass die Lern- und Bildungserfahrungen anschlussfähig sind.

Anschlussfähige Bildung bedeutet, dass die Kinder, Jugendlichen und auch Erwachsenen** in Lernsettings erleben, dass...

* ihre Vorerfahrungen wichtig sind.
* sie an bereits gemachte Lern- und Bildungserfahrungen anknüpfen können.
* sie so, wie sie sind, wichtig und „richtig“ sind.
* Vorerfahrungen unterschiedlich sein können und andere Menschen unterschiedliche Erfahrungen mitbringen.
* Lernerfahrungen auch an Interessen und an Begeisterung für Themen ansetzt.
* Vielfalt gelebt und willkommen ist.
* jeder immer etwas lernt, aber aufgrund von Interesse und Vorerfahrungen zum Thema nicht immer das gleiche gelernt wird.
* auch arbeitsteilig gearbeitet und gelernt werden kann.
* jeder von jedem etwas lernen kann.
* …

Anschlussfähige Bildung hat immer zwei Seiten: Zum einen bedeutet es, dass die Kinder da abgeholt werden, wo sie stehen.
Zum anderen bedeutet es den Kindern Lern- und Bildungserfahrungen zu ermöglichen, an die sie in der nächsten Bildungsinstitution leichter anknüpfen können.

Bildlich gesprochen bedeutet es, die Kinder kennen zu lernen, zu erfahren, auf welchen „Autobahnen“ sie unterwegs sind, welche Straßen sie gebaut haben und wo noch Entwicklungspotenzial, also grüne Wiese liegt. Das bedeutet, die Lern- und Bildungsangebote so abzustimmen, dass die Kinder an ihren Straßen und Autobahnen anknüpfen können, also sie weder über- noch unterfordert sind. Das hat den Vorteil, dass das Lernen mit Spaß, Freude und Begeisterung stattfinden kann und so nachhaltige Straßen und Autobahnen gebaut werden. Diese können dann auch in der nächsten Bildungsinstitution genutzt und weiterausgebaut werden.

Und auch wenn jede Bildungsinstitution den Fokus auf anschlussfähige Bildung legt, haben die Kinder immer unterschiedliche Vorerfahrungen gesammelt. Denn es zählen nicht nur die Erfahrungen, die ein Mensch in einer Bildungsinstitution sammelt, sondern alle Erfahrungen – täglich, 24 Stunden lang. So gelingt es nie, alle Lernenden auf den gleichen Stand zu bringen.

Egal in welchem Alter ist es hilfreich, sich selbst bewusst zu werden:
* „So war mein Lernstand vor dieser Erfahrung.
* Das habe ich jetzt gemacht
* und dabei das gelernt.
* Jetzt kann ich/weiß ich das.“

Oder sich vor einer Lernerfahrung bewusst zu machen.
* „Das weiß ich schon zu diesem Thema.“
* „Das interessiert mich am Thema.“
* „Damit möchte ich mich noch auseinandersetzten.“
* „Diese Fragen habe ich noch zum Thema.“
* „Nach dem Tag möchte ich wissen/können/umsetzen…“

Erwachsene können dies in der Regel für sich selbst reflektieren.
Das häufige Sprechen über ihre Lernerfahrungen tut Kindern sehr gut. Insbesondere über Lernerfahrungen, die die Kinder aufgrund von eigenem Forschungsinteresse machen, tauschen sie sich gerne mit anderen Kindern und bedeutsamen Bezugspersonen aus.

Ganz wichtig ist auch, sich immer wieder klar zu machen: „Selbst, wenn ich weiß, wie mein Lernstand zu dem Thema ist, was mich interessiert und was ich noch lernen/wissen möchte, wissen das andere, noch nicht.“

Nutzen Sie die Gespräche mit den Kindern, um auch ihre neuen Lernerfahrungen sichtbar zu machen. So erleben die Kinder gleich nebenbei, dass es überall spannende neue Dinge zu lernen gibt, keiner alles weiß und auch Erwachsene noch Neues dazulernen können, also dass lebenslanges Lernen funktioniert und sich lohnt.

Und falls Sie demnächst wieder einmal an einer Fortbildung teilnehmen möchten, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mir zu Beginn der Veranstaltung verraten:
* Was wissen Sie schon zu dem Thema? Also, wo ich Sie abholen kann.
* Was interessiert Sie am meisten? Also, wo Sie bereit sind, auf die grüne Wiese zu fahren und neue Lernerfahrungen zu machen.
* Welche Fragen haben Sie mitgebracht? Also, wo Sie vor der grünen Wiese stehen und gerne wissen wollen, welche neuen Wege Sie anlegen können.

So ein Fortbildungstag bietet Zeit und Gelegenheit, uns und unsere Autobahnen gegenseitig ein Stück weit kennenzulernen.

Herzliche Grüße und eine gute Zeit.
Ihre Kerstin Müller

 

** Ist von anschlussfähiger Bildung bei Kindern die Rede, sind immer auch Jugendliche und Erwachsene mit gemeint.