Können wir es uns wirklich leisten, in diesen krisenhaften Zeiten auch noch eine persönliche Krise zu haben?
Tja, das ist eine Frage, die so nicht zu beantworten ist. Eine durch ein Trauma ausgelöste Krise kommt in der Regel plötzlich, unerwartet und ungefragt.
Vielleicht sollte die Frage lieber anders gestellt werden:

 Können wir es uns wirklich leisten, in diesen krisenhaften Zeiten wegzuschauen, wenn einer unserer Mitmenschen oder Familienmitglieder eine Krise erlebt und um Hilfe bittet?

Ich denke Nein. Eine durch ein Trauma ausgelöste Krise kann jeden treffen, plötzlich, unerwartet, unvorbereitet. Den Zeitpunkt, wann solch ein Ereignis eine Krise auslöst, kann sich der Betroffene nicht aussuchen.

Vor vielen Jahren hatte ich eine sehr weise Teilnehmerin in einer Weiterbildung im Kurs. Sie sagte: „Jeder Mensch erlebt früher oder später in seinem Leben eine Krise.“ Das hat mich damals schon sehr aufmerksam werden lassen. Und wenn Sie mich kennen und sich schon einmal mit einer persönlichen Frage im Rahmen einer Fort- oder Weiterbildung an mich gewandt haben, wissen Sie, dass ich mir gerne auch Zeit für persönliche Fragen nehmen.

Für den Verlauf einer Krise ist die Qualität der Fremd- und Selbsthilfe sehr wichtig. In einer Krise können freundliche Worte und positiver mitmenschlicher Kontakt helfen, diese zu bewältigen. Wenn ich dann noch mit meinem Fachwissen einen positiven Impuls setzen kann, mache ich das gerne.

Krisen können herausfordernd sein, nicht nur für die Person, die die Krise erlebt, sondern auch für Familie, Freunde und Bekannte, manchmal auch für Arbeitskolleg*innen. Nicht alle Menschen bringen Verständnis auf für jemanden, der sich in einer Krise befindet. Dabei sind positive Kontakte für die Bewältigung sehr hilfreich.

Nicht immer ist gleich auf den ersten Blick erkennbar, ob sich jemand in einer Krise befindet. Wenn sich jemand in Ihrem privaten oder beruflichen Kontext „komisch“ verhält, könnte dies aber ein Indiz dafür sein. Es lohnt sich auf jeden Fall nachzufragen, „Wie geht es dir?“ „Was ist los?“, bevor Sie sich abwenden, verurteilen oder vertrösten.

Der positive Nutzen einer Krise kann meist erst, nachdem die Krise bewältigt ist, gezogen werden. Allerdings können zwei Dinge meist auf jeden Fall gesagt werden:
1. Wer ist mit mir durch die Krise gegangen? Wen hat es interessiert, dass es mir schlecht ging und ich Hilfe brauchte? Und wer ist jetzt, nach der Krise noch für mich da bzw. wen möchte ich auch nach der Krise noch in meinem Leben haben?
2. Welche Resilienzfaktoren konnte ich in der Krise nutzen? Welche konnte ich neu erwerben? Welche Resilienzfaktoren möchte ich nach der Krise stärken, um für künftige Ereignisse besser aufgestellt zu sein?

Meistens steckt auch ein gehöriges Potenzial an Veränderungsenergie in der Krise. Wenn es in der Krise steil bergab geht, kommt auch wieder die Zeit, in der es steil nach oben geht. Gut für diejenigen, die es geschafft haben, in der Abwärtsbewegung Energie zu sammeln, um sie dann für positive Entwicklungen zu nutzen.

In der Zusammenfassung: Persönliche Krisen können jeden treffen, plötzlich und unerwartet. Krisen können Geschenke sein, die helfen, sich neu zu sortieren und neu auszurichten. Krisen können Menschen näher zusammenschweißen oder das trennen, was vorher auch schon nicht gepasst hat.

Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie die Menschen um sich haben, die Sie brauchen, um gut durch Ihre persönliche Krise zu kommen, wann immer sie Sie auch erreicht. Und ich danke an dieser Stelle all jenen, die für mich da waren, als ich sie gebraucht habe.

Bleiben Sie achtsam, mit sich und Ihren Mitmenschen und schenken Sie öfter mal ein freundliches Wort. Für Menschen in einer Krise ist das Gold wert und auch bei allen anderen kann es nicht schaden.

Herzliche Grüße,
Ihre Kerstin Müller