Seit mehreren Wochen und Monaten beschäftige ich mich mit der Frage: „Was kann Kindern und auch uns Erwachsenen im Umgang mit der Pandemie helfen?“ Hierbei ist mir immer wieder der „Kreis der Sicherheit“ (nach Hoffman, Cooper& Powell) begegnet.

 

Dies ist ein wunderbares Modell, das aufzeigt, wie Kinder im Sinne der Bindungstheorie begleitet werden können.

Der „Kreis der Sicherheit“ besteht aus der „sicheren Basis“, von der aus das Kind startet und die Welt erkundet, und dem „sicheren Hafen“, in den das Kind zurückkommt, wenn es Hilfe braucht, Stress hat, sich unwohl fühlt oder Geborgenheit sucht.

Jedes Kind sollte mindestens eine erwachsene Bezugsperson haben, die ihm Interaktionen im Kreis der Sicherheit anbietet. So kann das Kind sich auf die Welt einlassen, vielfältige Erfahrungen sammeln und das neue Wissen gemeinsam mit der Bezugsperson einordnen. Hier lernt das Kind auch den Umgang mit Stress- und Regulationstechniken.

Kinder bekommen mit, was in den Medien (Radio, Fernsehen, digitale Medien) berichtet wird, aber auch wie sich Erwachsene über die aktuelle Situation austauschen. Das kann Ängste und Sorgen auslösen. So ist es gerade in Pandemiezeiten sehr wichtig und hilfreich, dass erwachsene Bezugspersonen Kinder bei der Emotionsregulation unterstützen und begleiten. Auch Kinder können achtsam mit sich und anderen Menschen umgehen – das sollte aber nicht aus Angst geschehen. Angst blockiert, macht hilflos und trübt die Lebensfreude.

Das Besondere an diesem Modell ist, dass es nicht nur auf Kinder anwendbar ist, sondern auf alle Menschen – also auch auf uns Erwachsene.

Gerade in unsicheren Zeiten, wie der Pandemie, ist es hilfreich für jeden von uns, eine sichere Basis und einen sicheren Hafen zu haben.

Wie sieht es bei Ihnen aus?
* Haben Sie denn mindestens einen Menschen, bei dem Sie sich sicher und geborgen fühlen?
* Haben Sie jemanden, zu dem Sie jederzeit mit jedem Anliegen kommen können?
* Bei wem können Sie „auftanken“ und wieder in Ihre Kraft kommen?
* Nach welchen Gesprächen fühlen Sie sich gestärkt, für die kommenden Anforderungen?

Und anders herum gefragt/gesagt: Für wen sind Sie – vielleicht auch nur zeitweilig – eine sichere Basis und ein sicherer Hafen?

Jeder von uns braucht ab und an eine Person,
* die vorurteilsfrei und wertfrei zuhört,
* hilft die eigenen Emotionen wieder zu sortieren und zu regulieren
* und eine Perspektive zu gewinnen, um aus eigener Kraft voranzugehen.

Und hier entsteht auch noch ein weiterer Vorteil: Wer anderen hilft, fühlt sich selbst weniger hilflos und hat somit (wieder) einen positiveren Blick auf das aktuelle Geschehen und die Zukunft.

Und wer weiß, vielleicht gelingt es uns ja gemeinsam, dass wir uns gegenseitig den Kreis der Sicherheit bieten und somit Ketten der Sicherheit entstehen, die Halt geben und auffangen.

Hier ist es mir sehr wichtig, darauf hinzuweisen: Erwachsene bieten den Kreis der Sicherheit für Kinder und andere Erwachsene. Kinder können uns zwar auch inspirieren und uns mit ihrer Lebensfreude und ihrem manchmal unkonventionellen Blick auf das Leben anstecken und positiv motivieren. Kinder sind aber nicht für die Gefühle von Erwachsenen verantwortlich oder zuständig sie zu regulieren.

In Pandemiezeiten haben sich viele Interaktionsmuster verändert. Und auch wenn Sie Ihre sichere Basis und Ihren sicheren Hafen nicht in echt treffen können: Es gibt Telefone, Online-Meetings und andere virtuelle Treffen.

Die wirklich ernst gemeinte Frage „Wie geht es dir?“ und eine ehrliche Antwort darauf sind manchmal schon der Schlüssel zum Kreis der Sicherheit – und wer weiß, vielleicht auch zur Kette der Sicherheit.

Mir ist in meinen Reflexionsprozessen aufgefallen, dass ich Ihnen in meinen Seminaren und Veranstaltungen Interaktionen im Kreis der Sicherheit anbiete.
* Ich bereite Ihnen das Thema vor, zu dem wir uns treffen – gestalte Ihnen sozusagen eine Landkarte, in der wir uns im Seminar gemeinsam bewegen können.
* Es gibt immer eine „Pausenplanung“ – Sie wissen, wann es Erholungsphasen gibt.
* Gemeinsam setzen wir Schwerpunkte zu den Teil-Themen/Fragen, die Sie beim Thema des Tages beschäftigen – Ihre individuellen Vorerfahrungen und Autobahnen sind wichtig und finden Berücksichtigung.
* Gemeinsam gehe ich mit Ihnen auf Entdeckungstour – im Sinne des entdeckenden Lernens.
* Ich bin immer offen für Ihre Fragen, die während der Veranstaltung auftauchen.
* Und der allerwichtigste Punkt: Wertschätzung für das, was da ist: Themen, Autobahnen, Gefühle, Austausch und Dialog.

Gerade in der Pandemiezeit ist mir noch einmal mehr bewusst geworden, wie wichtig es ist, kleine und größere Krisen nicht alleine mit sich selbst auszumachen, sondern eine Anlaufstelle zu haben, gemeinsam den Blick zu klären und wieder positiv in die Zukunft zu schauen.

Ich wünsche uns allen – ob groß oder klein – diesen besonderen Menschen, der uns begleitet im Sinne des "Kreises der Sicherheit".
Herzlichst
Ihrer Kerstin Müller