Ein Rezept ist eine wunderbare Sache: Es gibt Mengenangaben, eine genaue Anleitung und hinterher kommt ein leckeres Gericht heraus.
Beim Kochen und besonders beim Backen funktioniert das wunderbar. In der Pädagogik gibt es keine universellen Rezepte.

In letzter Zeit wird der Ruf nach Rezepten jedoch wieder lauter. Manchmal auch versteckt hinter Fragen, wie „Haben Sie ein Muster?“ „Gibt es eine Vorlage?“ oder auch die ganz konkrete Nachfrage zu einem Fall: „Wie genau begleite ich jetzt dieses Kind?“
In der Pädagogik gilt, nach wie vor: Was dem einen Kind hilft, kann ein anderes Kind überfordern, unterfordern oder auch heftige negative Emotionen hervorrufen.

Ist eine wirkungsvolle Pädagogik ein Glücksspiel?
Nein. Es gibt ein paar Grundzutaten, die für die Begleitung von Kindern und auch den dazugehörigen Eltern/Familien hilfreich und wichtig sind:

Entwicklungspsychologisches Grundwissen
Es braucht das Hintergrundwissen, wie sich Kinder allgemein entwickeln und welche Entwicklungsthemen für die aktuelle Entwicklungsphase vorherrschend sind. Daneben kann es nicht schaden, sich auch für die Entwicklungsthemen zu interessieren, die die Kinder bereits bearbeitet haben. So können eventuelle Überhänge erkannt und begleitet werden. Auch der Blick auf die nächsten Entwicklungsthemen und -aufgaben kann sehr hilfreich sein, um Kinder, die schon weiter sind, ebenfalls angemessen begleiten zu können.
Und ja, es gibt auch Kinder, die haben in einzelnen Bereichen noch Überhänge aus noch nicht abgeschlossenen Themen, aktuelle Themen und teilweise erst anstehenden Themen. Das macht die Begleitung noch komplexer.

Beziehung
Eine tragfähige Beziehung ist die Basis und das Fundament für eine effektive Begleitung der Kinder bei den Entwicklungsaufgaben und -herausforderungen. Je mehr Handlungswissen Sie zu Beziehungsaufbau und Beziehungspflege haben, umso besser können Sie Kinder im Alltag und bei Herausforderungen begleiten. Besonders in herausfordernden Situationen geht es ohne tragfähige Beziehung nicht.

Wahrnehmung und Beobachtung
Neben dem allgemeinen Wissen darüber, wie Kinder sich entwickeln, braucht es die Bereitschaft und die Fähigkeit hinzuschauen, wie es bei diesem Kind aussieht.
* Was genau tut das Kind?
* Welchen Sinn macht das Verhalten für das Kind?
* Welches Bedürfnis (Entwicklungs- und/oder Grundbedürfnis) versucht sich das Kind darüber zu erfüllen?
* Über welche Vorerfahrungen und Kompetenzen verfügt das Kind bereits, mit denen gearbeitet werden kann?

Die Haltung, das Kind begleiten zu wollen
Es macht einen großen Unterschied, ob Sie aus der Haltung heraus handeln, das Kind begleiten zu wollen, oder aus dem Wunsch heraus, dass das Kind „funktioniert“, mitmacht und „brav“ ist.
Kinder wollen in der Regel mit den Bezugspersonen kooperieren. Mitunter gelingt es ihnen nicht. Das kann mehrere Gründe haben:
* Ein Entwicklungsthema ist gerade in Bearbeitung und fordert das Kind sehr heraus.
* Die psychische Energie des Kindes ist aktuell aufgebraucht und es wird alles zu viel.
* Das Kind ist reizüberflutet und braucht Hilfe bei der Regulation und Zentrierung, bevor es neue Reize aufnehmen kann.
* Der Tagesablauf/die Aktivität passt nicht zu den Grund-, Bildungs- und/oder Entwicklungsbedürfnissen des Kindes/der Kinder (Überforderung oder Unterforderung).

Kinder proaktiv informieren
Das Kind vorab informieren, welche Situation jetzt kommt und was das Kind nun tun kann. So bekommt das Kind eine Idee davon, welches Verhalten in welcher Situation gezeigt werden kann. Dann gelingt es leichter, die inneren Handlungsimpulse auf die aktuelle Situation abzustimmen.

Begleiten, wenn sich das Kind schwer tut
Das ist wichtig, damit das Kind genau „da abgeholt wird, wo es steht“
So können Sie gemeinsam mit dem Kind Handlungsimpulse des Kindes lenken. Das ist immer dann hilfreich und notwendig, wenn das Kind innere Handlungsimpulse hat und sich diese ungelenkt Bahn brechen. So lernt das Kind seinen Handlungsimpuls mit der Zeit immer besser selbst zu spüren, selbst zu lenken und angemessenes Verhalten in den unterschiedlichen Situationen zu zeigen. Das geht jedoch nur mit Begleitung. Am Anfang ist diese Begleitung intensiver und näher und macht sich mit der Zeit überflüssig.

Bereitschaft, die eigenen alten Autobahnen zu reflektieren
In der Begleitung von Kindern werden immer wieder auch die eigenen Autobahnen angetriggert, die im eigenen Sozialisationsprozess (oft in der eigenen Kindheit) erworben wurden. Nachdem sich die Frühpädagogik in den letzten Jahren sehr rasant weiterentwickelt hat, gibt es Handlungsmuster, die in Erwachsenen schlummern, die heutzutage nicht mehr zu einer aktuellen Pädagogik passen. Hier ist es wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein, dysfunktionale Handlungsmuster zu erkennen und die dazugehörigen Autobahnen umzubauen.
Und ja, das kann sehr herausfordernd sein, mitunter auch schmerzlich, und kann eigene Kindheitserfahrungen wachrufen. Es ist jedoch sehr wichtig, dass dysfunktionale Handlungsmuster nicht unreflektiert weitergegeben werden.

Methodenwissen und Techniken
Natürlich ist es auch hilfreich, über Methoden und Techniken zu verfügen, wie Kinder begleitet werden können. Hier gibt es jedoch keine universelle Lösung und keine Methode, die für alle Kinder gleich gut wirkt und das Gleiche bewirkt.

Und ganz wichtig: Eine Methode und eine Technik ist wertlos, wenn sie nicht auf das Kind und/oder die Kindergruppe abgestimmt ist.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie schon die Haltung haben, mit den Kindern gemeinsam aus den Grundzutaten eine entwicklungsförderliche Umgebung zu kreieren.

Und wenn Sie für sich feststellen, dass Sie sich gerne bei dem ein oder anderen Punkt begleiten lassen möchten, freue ich mich sehr, Sie auf einer meiner zahlreichen Fortbildungen zu treffen oder direkt zu Ihnen in die Einrichtung zu kommen.

Bis dahin machen Sie es gut und denken Sie auch an eine fehlerfreundliche Umgebung: Denn Fehler machen ist erlaubt, solange alle Beteiligten etwas daraus lernen und (Weiter-)Entwicklung passiert.
Herzlichst Ihre Kerstin Müller 😊